Martin Hofer: «Kluge Provokation gehört dazu»

14.01.2014 18:35

 

 

 

 

 

 

 

Der neue Chef von «10 vor 10», Martin Hofer, will mehr politische Geschichten bringen.

–: Herr Hofer, seit dieser Woche leiten Sie «10 vor 10» – eine Erfolgssendung, die von Privatstationen kaum attackiert wird. Sind Sie ein Glückspilz?

Martin Hofer: Die neuen Stationen wissen, warum sie nicht gegen uns antreten. Es wäre schwierig, neben «10 vor 10» etwas aufzubauen. Ein Glückspilz bin ich, weil ich die Sendung leiten darf.

–: Kein Wunder, Sie erben solide 40 Prozent Marktanteil.

Hofer: Quoten sind keine plötzliche Erbschaft – Quoten müssen täglich erarbeitet werden. Unsere direkte Konkurrenz hat zugenommen, in Form von mehr Sportübertragungen auf SF 2 und attraktiven Filmen auf deutschen Sendern.

–: Die neuen Schweizer Angebote sind Ihnen hingegen egal?

Hofer: Ist Ihnen aufgefallen, dass bei uns etwas geändert hat, seit die senden?

–: Nicht wirklich.

Hofer: Konnte es auch nicht. Erst kam Tele 24, dann kamen die anderen Projekte – wir haben kaum reagiert. Journalistisch herausgefordert fühlen wir uns sowieso von –, «Blick», «Tages-Anzeiger» oder «Cash».

–: Wer also «10 vor 10» in einem Jahr schaut, sieht ungefähr dasselbe Programm wie heute. Richtig?

Hofer: Ich bin seit Jahren dabei, würde mich also selber verraten, wenn ich alles auf den Kopf stellen würde. Feinkorrekturen solls aber geben. In einem Jahr sieht man wohl noch mehr Politik-, Wirtschafts- und Auslandbeiträge. Bei diesen Themen wollen wir verlässlicher werden.

–: Verlässlicher? Infotainment heisst doch, sich zum Fenster auf den Boulevard hinauszulehnen.

Hofer: Ich mag das Wort Infotainment nicht. Wir sind ein Informationsmagazin. Das wollen wir keck machen, mit gut erzählten und vor allem relevanten Geschichten.

–: Nun ist «10 vor 10» fast jedes Jahr die Sendung, die der DRS-Ombudsmann am häufigsten rügen muss …

Hofer: … weil wir bei der Recherche am meisten riskieren. Da passieren auch Fehler. Oft werden wir übrigens nicht gerügt.

–: Heisst mehr Verlässlichkeit, dass Sie weniger gerüffelt werden wollen?

Hofer: Keinesfalls. Wir haben nicht vor, schön brav nach Proporz allen Gruppierungen zu gefallen. Im Gegenteil, alle sollen angegriffen werden. Verlässlichkeit bedeutet: Kontinuität im Themenangebot. Vor allem wollen wir mehr gute politische Geschichten aufstöbern.

–: «10 vor 10» soll also wieder oft von sich reden machen. So wie früher.

Hofer: Man soll von uns reden, ja. Doch unsere Vergangenheit wird zum Teil verherrlicht. Wir haben heute gleich viele Primeurs wie früher, falls die so wichtig sein sollten. Nur zitieren uns die andern Medien nicht mehr so häufig.

–: Die Frisur von Eva Wannenmacher überstrahlt halt den Rest.

Hofer: Chabis! Unsere Recherchen werden einfach weniger aufgenommen. Aber «10 vor 10» legt sich ständig an, mit Basler oder Berner Behörden, mit Ruth Dreifuss oder Rainer E. Gut …

–: Sagen wirs so: Die Moderatoren tragen die Sendung mindestens so stark wie die Inhalte.

Hofer: Das mögen andere beurteilen. Ich sage nur: Unsere Moderatoren sind Superklasse, alle drei.

–: Einst sorgte «10 vor 10» auch immer wieder für künstliche Aufregung, zeigte Hinrichtungen in Afghanistan …

Hofer: Halt! Das war nicht das alte «10 vor 10», es war das heutige. Wir zeigen, was wir für wichtig halten, wir zeigen die Realität. Und die ist nicht immer schön.

–: Die Provokation gehört dazu?

Hofer: Natürlich – kluge Provokation. «10 vor 10» soll überraschend, angriffig, frech, investigativ sein. Nach wie vor.

–: Liegt es denn nur an der Gnade des Gedächtnisses, wenn man den Eindruck hat, «10 vor 10» habe die Agenda der Schweiz früher stärker bestimmt?

Hofer: Ja. Ich bin seit Jahren dabei, würde also gegen mich selber reden, wenn ich unsere Vergangenheit schlecht machen würde. «10 vor 10» ist relevanter geworden, filmisch besser und – das muss ich zugeben – auch ein wenig berechenbarer.

–: Aber immer noch ist «10 vor 10» eine Wundertüte, es gibt von allem etwas: Boulevard, Politik, Schicksale …

Hofer: So haben wir «10 vor 10» am Anfang auch verstanden. Als Wundertüte. Zum Teil gilt das immer noch. Aber wenn auf der Welt etwas Wichtiges passiert, muss es bei uns stattfinden. Es gibt Pflichtstoffe in «10 vor 10».

–: Jetzt klingen Sie wie Ihre Kollegen von der «Tagesschau».

Hofer: Fünfzig Prozent unserer Zuschauer haben die «Tagesschau» nicht gesehen. Früher war es vielleicht so, dass wir gegen die «Tagesschau» kämpften, und wer von Pflichtstoff sprach, wurde geteert und gefedert. Aber nächstes Jahr wird «10 vor 10» zehn Jahre alt. Man kann nicht ein Leben lang pubertieren, ab einem bestimmten Punkt wirds lächerlich. «10 vor 10» ist erwachsen geworden.

–: Es gibt aber einen latenten Pubertätsdruck – den Trend zu Boulevard-Magazinen à la «Explosiv».

Hofer: Das geht uns nichts an. Wir haben null Grund, in die Richtung zu steuern.

–:Solche Formate fixen die Leute an für härtere Infotainment-Drogen.

Hofer: Im Gegenteil, sie verleiden rasch. Die deutschen Sender kommen schon wieder davon ab. Nur Sex and Crime – einfach eine Kriminalgeschichte nach der andern –, so etwas funktioniert auf Dauer nicht. Das sind Hausecken-Geschichten. Wenn sie in Biel passieren, interessieren sie schon in Basel niemanden mehr.

–: In Deutschland wechselt aber das jüngere Publikum – weg von der «Tagesschau», hin zu den knalligeren «News»-Formaten von RTL oder Sat 1.

Hofer: Die holen ihre Zuschauer, weil sie seriöser geworden sind. Und es ist ja nicht so, dass jeder unter fünfzig bloss Knalljournalismus will. Sich nur auf die 15- bis 49-Jährigen zu stürzen, wie das die Privaten tun – das ist sowieso passé.

–: Als Chef eines DRS-Programms können Sie da cool abwarten: Sie müssen alle Generationen bedienen.

Hofer: Stimmt, bei «10 vor 10» ist jeder willkommen.