Konto «Seuze» - Diktator Sani Abacha schaffte über eine Milliarde Franken in die Schweiz

22.01.2014 14:08

Diktator Sani Abacha schaffte über eine Milliarde Franken in die Schweiz. Zum Beispiel auf das Konto 638-931 -6 bei der Credit Suisse.

Die beiden Männer haben es sehr eilig und hetzen durchs Portal der Credit Suisse in Zürich. Nach ihrer Visite am Paradeplatz wollen sie gleich weiter nach Vaduz. So kommen sie bei Kundenberater B. sofort zur Sache. Sie stellen sich als Mohammed und Ibrahim Sani vor, Geschäftsleute aus Nigeria. Motiv ihres Besuchs: die Eröffnung eines Nummernkontos. Mohammed Sani weist sich mit einem Pass aus, Ibrahim hat seinen im Hotel vergessen. Zeit, ihn zu holen, hat er nicht; der Chauffeur für die Fahrt nach Liechtenstein wartet bereits.

Die beiden Nigerianer, die am 12. September 1995 bei der Credit Suisse vorsprechen, stellen lukrative Bankgeschäfte in Aussicht. Mohammed und Ibrahim sind zwar erst 26 und 28 Jahre alt. Und doch wollen sie bis zu 100 Millionen Dollar auf ihr neues Nummernkonto einzahlen: Profite aus Rohstoffgeschäften und Industriebeteiligungen. Jung und sehr reich - von solcher Klientel träumt jede Bank. Noch am gleichen Tag eröffnet die Credit Suisse für Mohammed Sani das Konto «Seuze» mit der Nummer 638-931-6. Das Konto «Kaisser» für Ibrahim, einigt man sich, muss warten, bis er eine Passkopie nachreicht. 

Was als lukrative Kundenbeziehung begann, entwickelt sich für die Credit Suisse zu einer peinlichen Affäre. Denn Mohammed Sani alias «Seuze» ist nicht irgendwer. Der Nigerianer ist der Sohn des berüchtigten Diktators Sani Abacha, der sein Land von 1993 bis zu seinem Tod 1998 «systematisch geplündert» hat. So steht es im nigerianischen Rechtshilfeersuchen vom 20. Dezember 1999 an die Schweiz, aus dem FACTS erstmals zitiert. Die neue, demokratisch gewählte Regierung Nigerias will das geraubte Geld zurück ins Land holen. Sie beschuldigt General Abacha, rund sieben Milliarden Franken mit Hilfe seiner Familie und mit Komplizen aus Staat und Wirtschaft in die eigenen Taschen abgezweigt zu haben. Laut ihrem Rechtshilfeersuchen schaffte der Abacha-Clan das illegale Fluchtgeld ins Ausland und wusch es über das internationale Bankensystem - «insbesondere das schweizerische». 

Die nigerianische Regierung ist offensichtlich gut dokumentiert: Auf Grund ihres 42-seitigen Ersuchens wurden rund 650 Millionen Dollar (1,1 Milliarden Franken) auf gut 150 Konten bei 17 Banken in der Schweiz vorsorglich blockiert. Und Mohammed Sani Abacha, der als «Schatzmeister» der Familie bezeichnet wird, ist letzte Woche vom Genfer Untersuchungsrichter Georges Zecchin wegen Geldwäscherei, Betrug, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie der Veruntreuung öffentlicher Gelder angeklagt worden. 

Peinlich für die Credit Suisse: Auf dem Konto «Seuze» von Mohammed Sani Abacha liegt der mit Abstand grösste Brocken der eingefrorenen Diktatorengelder, gut 232 Millionen Dollar (380 Millionen Franken). Die CS steht aber nicht allein im Regen. Vor allem auf dem Finanzplatz Genf fand der Abacha-Clan hilfreiche Bankiers, wie FACTS-Recherchen zeigen: Auf Konten der Crédit Agricole wurde die zweitgrösste Summe sichergestellt, rund 140 Millionen Dollar (230 Mio. Franken), bei der Union Bancaire Privée sind es über 60 Millionen Dollar und nochmals rund 30 Millionen Dollar bei der Banque Nationale de Paris in Genf. Die Bank Leu in Zürich, eine Tochter der Credit Suisse Group, musste gut 25 Millionen Dollar blockieren lassen. Untersuchungsrichter Zecchin bestätigt diese Zahlen. 

Die Banken müssen sich penible Fragen gefallen lassen. Die «Neue Zürcher Zeitung» etwa will wissen: «Gehört bei gewissen Instituten Fahrlässigkeit zum Geschäft, wenn es darum geht, den Wert der anvertrauten Gelder deutlich zu steigern?» Die Eidgenössische Bankenkommission ermittelt gegen die involvierten Banken. Sie untersucht, ob es die Institute beim Handling der Konten an der nötigen Sorgfalt fehlen liessen. Und verlangt bereits härtere Strafen für Banken, die Fluchtgelder annehmen. Keine Stellung zum Fall will Rechtsanwalt Enrico Monfrini nehmen, der die Interessen Nigerias in der Schweiz vertritt.

Mit Sanktionen muss auch die Credit Suisse rechnen. Zu gutgläubig verfuhr die Grossbank mit Mohammed Sani. Auch wenn Sani der CS verheimlichte, dass er ein Sohn des Diktators ist, hätten die Banker hellhörig werden müssen. So stand das Abacha-Regime im September 1995 weltweit am Pranger, weil es die Menschenrechte systematisch verletzte. Kurz nach der Eröffnung des Kontos «Seuze» wurden der Schriftsteller Ken Saro-Wiwa und acht weitere Bürgerrechtler trotz internationaler Proteste gehängt. Der Commonwealth suspendierte im November die Mitgliedschaft Nigerias, die EU verhängte Sanktionen, der Bundesrat rief den Botschafter in die Schweiz zurück und die USA drohten alle nigerianischen Konti einzufrieren. 

Bei der Credit Suisse jedoch wurde niemand misstrauisch, als Mohammed Sani aus Nigeria ein Konto eröffnete und laut internen CS-Dokumenten sogar durchblicken liess, dass er sich «vor Embargo-Massnahmen gegen sein Land fürchte». Auch nicht, als der junge Mann innerhalb kurzer Zeit Million um Million in Zürich deponierte: Am 26. Januar 1996 gingen die ersten 15 Millionen Mark aufs Konto «Seuze» ein, im April sind es 23 Millionen Dollar, im Mai nochmals 45 Millionen Dollar. Nach knapp einem Jahr lagen 100 Millionen Dollar auf dem Konto. Es war das Jahr 1996, in dem die angesehene Anti-Korruptions-Organisation Transparency International Nigeria als «das korrupteste Land der Welt» einstufte. 

CS-Kundenberater B. wurde auch nicht misstrauisch, als er im April 1996 erfuhr, dass Ibrahim Sani, der mit seinem Bruder Mohammed in Zürich gewesen war, im Januar bei einem Flugzeugcrash in Nigeria starb. 

In der Tat: Am 17. Januar 1996 verunglückte der älteste Sohn von Diktator Sani Abacha - sein Vorname ist Ibrahim - bei einem Unfall tödlich. Das weiss man auch in der Schweiz. Der Zürcher «Tages-Anzeiger» etwa schrieb dazu in einem längeren Artikel über Nigeria: «Ibrahim Abacha war Mitte Januar ? bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Ibrahim Abacha war Geschäftsmann und verwaltete zudem das Riesenvermögen seines Vaters.» Zweimal Ibrahim. Zweimal Nigeria. Zweimal Tod durch Flugzeugabsturz. Zweimal Geschäftsmann. Zweimal sehr reich. 

Kein Gesetz der Welt schreibt vor, dass Banker Zeitung lesen müssen. Dennoch: Ab welchem Zeitpunkt hätte die Credit Suisse wissen können, dass Mohammed Sani der Diktatorssohn Mohammed Sani Abacha ist? Ab wann hätte sie «einen begründeten Verdacht» haben können, dass die Dollarmillionen auf dem Konto 638-931-6 «aus einem Verbrechen herrühren oder der Verfügungsmacht einer kriminellen Organisation unterliegen»? Die Antwort auf die Frage ist strafrechtlich relevant: Das Geldwäschereigesetz (GwG), dessen Artikel 9 hier zitiert ist, schreibt bei einem begründeten Verdacht vor, dass solche Gelder von der Bank «unverzüglich» der Meldestelle für Geldwäscherei gemeldet und gesperrt werden müssen. Das GwG ist seit dem 1. April 1998 in Kraft.

Die Credit Suisse stellt sich heute auf den Standpunkt, sie sei über die wahren Familienverhältnisse von Mohammed Sani irregeführt worden. Erst im Frühjahr 1999 habe sie festgestellt, dass es sich bei ihm um den Sohn von Diktator Abacha handeln könnte. Und: «Alle gesetzlichen Bestimmungen, die bei der Eröffnung des Kontos galten, wurden eingehalten.» Und nach der Eröffnung? Hat die CS auch in den Jahren danach sorgfältig genug recherchiert?

Eine Aktennotiz der Credit Suisse vom 29. März 1993 - «nur für bankinternen Gebrauch» - lässt daran zweifeln. In der Französisch gehaltenen Aktennotiz, deren Inhalt Untersuchungsrichter Zecchin bestätigt, wird Brisantes über ein Treffen vom 22. März 1999 am CS-Hauptsitz in Zürich berichtet: Jean-Jacques M., der als «Berater für Afrika» bezeichnet wird, informierte die Credit Suisse, dass er bereits im September 1997 den Klienten «Seuze» in Nigeria getroffen habe. Und Jean-Jacques M. erinnert sich genau, dass dieser ihm «als Sohn des damaligen Staatschefs vorgestellt wurde». Bereits im September 1997 wusste also zumindest einer innerhalb der Credit Suisse Gruppe, dass Mohammed Sani der Sohn des Diktators war. 

Damals, sagt M. heute, habe er für die Credit Suisse First Boston (CSFB) gearbeitet. Das Konto «Seuze» liege aber bei der Credit Suisse Private Banking (CSPB). Die beiden Geschäftseinheiten seien juristisch eigenständig und hätten je eigene Kundenlisten, betont Banken-Sprecher Urs Thaler. Welche Kunden die jeweilige Geschäftseinheit hat, könne die andere darum nicht wissen: M. habe also nicht ahnen können, dass Mohammed Sani über ein Konto bei der CSPB verfügt. 

Wieso aber wurde Jean-Jacques M. von der CSPB nicht schon viel früher auf Mohammed Sani angesprochen? Er gilt innerhalb der Credit Suisse Group als einer der besten Experten für Afrika. Lange Jahre war M. Direktor der damaligen SKA für die afrikanischen Geschäfte der Bank, betreute später für die CSFB Projekte in Afrika und ist jetzt bei der CSPB Berater für den Kontinent. Jean-Jacques M. hätte schon im September 1997 die Credit Suisse über die wahre Identität von «Seuze» aufklären und ihr eine Menge Ärger ersparen können. «Ich weiss auch nicht, wieso ich nicht früher gefragt wurde», sagt M. Der CS fällt eine Stellungnahme dazu von Gesetzes wegen schwer: «Wir haben als Bank keinerlei Möglichkeit, uns zu Einzelheiten in der Öffentlichkeit zu äussern, ohne mit dem Bankgeheimnis in Konflikt zu geraten.» Ein CS-Insider gibt indes zu, dass mit dem «Seuze»-Konto «einiges falsch gelaufen ist und man zu lange keinen Verdacht geschöpft» hat. 

Die CS hat das Konto im Oktober 1999 von sich aus blockiert und den Behörden gemeldet. Viele Konten bei anderen Banken wurden dagegen erst auf Anordnung von Untersuchungsrichter Zecchin gesperrt. «Ohne Geldwäscherei-Gesetz wäre das viel schwieriger gewesen», sagt Zecchin. Tatsächlich wurde auf keinem anderen internationalen Finanzplatz so schnell reagiert wie in der Schweiz. Die Ermittler hier und in Nigeria müssen jetzt nachweisen, dass die blockierten Millionen aus illegalen Geschäften stammen, dann erst kann Geld nach Nigeria zurückfliessen.

Ihre Aufgabe mutet herkulisch an, denn die Gier der Abachas war unersättlich. Die neue Regierung Nigerias geht davon aus, dass der Clan sich mit mindestens 4,3 Milliarden Dollar (über 7 Milliarden Franken) bereichert hat. 2,3 Milliarden Dollar sollen direkt aus der Staatskasse der Nationalbank gestohlen worden sein, eine Milliarde aus illegalen Geschäften kommen, die über Tarnfirmen ausser Landes geschafft wurde, und eine weitere Milliarde Dollar soll aus Bestechungsgeldern von ausländischen Firmen stammen, die sich damit lukrative Aufträge sicherten.

Das Rechtshilfe-Ersuchen Nigerias an die Schweiz schildert en detail, wie die Abachas dabei vorgingen: So bedienten sie sich in der Zentralbank unverfroren mit Bargeld. Ein Helfershelfer gab in Nigeria zu, dass er wiederholt 12 bis 15 Geldsäcke randvoll mit Devisen aus der Zentralbank direkt an General Sani Abacha abliefern musste. Das beweisen auch Verhöre mit Diktatorssohn Mohammed Sani, der heute in der nigerianischen Hauptstadt Abuja hinter Gittern sitzt. Auszug aus den Verhörprotokollen von Anfang April, in die Facts Einsicht nehmen konnte:

Richter: Ihr Vater gab ihnen also Bargeld im Wert von 700 Millionen Dollar?

Mohammed Sani Abacha: Das stimmt.

Richter: Es waren Scheine in amerikanischen Dollar und englischen Pfund, die sie an den Geschäftsmann Abubakar Bagudu weitergaben, um sie ins Ausland zu transferieren?

Abacha: Das tat ich.

Richter: Das ganze Geld gab Ihnen ihr Vater in cash?

Abacha: Das ist korrekt.

Ein grosser Teil dieses Bargelds, wird im Rechtshilfeersuchen vermutet, ist auf Schweizer Bankkonten deponiert. Gegen Bagudu, der in den Verhörprotokollen als Komplize der Abachas genannt wird, läuft in der Schweiz ein Strafverfahren. 

Auch über fiktive Verträge sind die Abachas zu Geld gekommen. So unterschrieb der Diktator etwa einen Vertrag für den Kauf von Militärgerät. Bloss: Einen Verkäufer gab es gar nicht. Das Geld aus der Staatskasse, 11,3 Millionen Dollar, landete laut Rechtshilfeersuchen vom Sicherheitsberater Abachas auf dem Konto einer englischen Gesellschaft bei der Banque Nationale de Paris (BNP) in Genf. Während Jahren verschob der Abacha-Clan auf diese Weise über Tarnfirmen Millionenbeträge auf Konten bei der BNP und der Union Bancaire Privée (UBP) in Genf. Einmal waren es 25 Millionen Dollar für angebliches Lobbying, dann 18 Millionen Dollar für Rüstungsgüter, die nicht existierten, oder auch Profite aus dem Kauf von Impfstoffen, für die Nigeria offiziell 111 Millionen Dollar zahlte, die aber bloss 48 Millionen wert waren.

Nicht zuletzt profitierten die Abachas offenbar von Bestechungsgeldern westlicher Firmen, die so im erdöl- und aluminiumreichen Nigeria an lukrative Aufträge kamen. In Luxemburg wurden vor kurzem 600 Millionen Dollar auf Konten der deutschen Bank M. M. Warburg blockiert. 300 Millionen Mark davon hatte der Anlagenbauer Ferrostaal, eine Tochter des deutschen Industriekonzerns MAN, auf ein Konto von Mohammed Sani Abacha überwiesen. Die Bank bezeichnete dieses Geld, das auch über die Warburg in der Schweiz geschleust worden war, unverblümt als «Provisionen». 

Dass auch viele andere Banken in der Schweiz, in Luxemburg und wohl auch in England und den USA in die Abacha-Affäre verwickelt sind, dürfte für die Credit Suisse ein kleiner Trost sein. Sie hätte wissen können, dass es sich bei Mohammed Sani alias «Seuze» um den Sohn des raffgierigen Diktators Abacha handelte. Ob die CS-Banker das sogar hätten wissen müssen, wird der Richter entscheiden.