Anhaltender Schock

05.03.2014 18:39

Die Finanzmärkte brachen nach dem Gegenschlag der USA nicht sofort ein. Doch die Welt ist verunsichert, und die Wirtschaft schlittert in eine Rezession.

Bomben über der afghanischen Hauptstadt Kabul. Diese Nacht wird noch lange in Erinnerung bleiben. Der Tag darauf auch. Die ganze Welt starrte auf die internationalen Börsenplätze. Doch es hätte schlimmer kommen können, die Finanzmärkte brachen nicht schlagartig ein. Die Ausschläge an den internationalen Börsen bewegten sich bei geringen Umsätzen im Null-Prozent-Bereich.
Business as usual in einer Welt, in der derzeit vieles auf der Kippe steht. Die Weltwirtschaft ist in der Rezession. Der Konflikt im Mittleren Osten hat erst richtig begonnen, und die Konsumenten haben sich quer über den Globus zu einem rigorosen Sparprogramm entschlossen. Es wird nicht mehr gereist, es wird nicht mehr gekauft oder mit Aktien spekuliert, die Leute bleiben zu Hause, schauen den US-Sender CNN und harren der Dinge, die da kommen werden.

Deshalb täuscht die Gelassenheit an den Börsen. Der englisch-amerikanische Schlag gegen das Taliban-Regime und den Terrorismus bringt die Weltwirtschaft gewiss nicht auf Trab. «Die Unsicherheit wird anhalten», sagt UBS-Warburg-Ökonom Philipp Paulus, «und damit dürfte eine globale Konjunkturerholung erst 2002 erfolgen.»

Dabei hatte es vor der verheerenden Attacke vom 11. September für die US-Wirtschaft relativ gut ausgesehen. «Wir sahen erste Anzeichen eines konjunkturellen Umschwungs», sagt Paulus. Verschiedene Indikatoren, darunter der Leading Indicator des Conference Board, zeigten mehrere Male hintereinander einen Anstieg an.
Der Zusammenbruch der Twin Towers in New York hat die Welt verändert. Di-verse Branchen stürzten von einem Tag auf den anderen in die Krise. Airlines vor dem Bankrott mussten den Staat um Finanzhilfe bitten, der Tourismus ist mit Milliardenverlusten konfrontiert, die Luxusgüterindustrie darbt, Versicherungen müssen ihre Gewinnprognosen um Milliarden zurücknehmen, und international tätige Banken sehen sich mit einer beispiellosen Gewinn-Erosion konfrontiert.
Wie die Credit Suisse Group. Sie glänzte früher mit Gewinnen in Milliardenhöhe und ebensolchen Bonuszahlungen an die Investmentbanker. Jetzt beträgt der Verlust im dritten Quartal 300 Millionen Franken, und 2000 Banker müssen sich einen neuen Job suchen.

Quer über den Globus beginnt sich eine verhängnisvolle Spirale zu drehen. Die Verunsicherung durch die Attentate in New York und deren bislang unabsehbare Folgen haben gemäss Karl Weber, Chefökonom der Bank Vontobel, «das Konsumentenvertrauen weltweit einbrechen lassen». In der Schweiz wird das Wachstum des privaten Konsums gemäss UBS-Prognosen binnen Jahresfrist von knapp drei auf ein Prozent abstürzen. In den USA ist die Sparquote, ein fein reagierender Konjunkturindex, vom historischen Tief von 0,4 Prozent im September 2000 auf bereits 4,1 Prozent im vergangenen August gestiegen. «Verschiedene negative Trends», sagt Vontobel-Ökonom Weber, «überlagern sich derzeit.» Sie führen zu Rezession und Stagnation:
Weltweit vervielfachen sich die Massenentlassungen. In den USA haben die Erstanträge auf Arbeitslosengeld das höchste Niveau seit 1992 erreicht. In der Schweiz rechnen Prognostiker mit einer Arbeitslosenrate von 2,5 Prozent.

- Die Unternehmen schrauben ihre Investitionen markant zurück. Denn die Konsumenten streiken.
- Die anhaltende Verunsicherung über den Ausgang des Kampfs gegen den Terrorismus ist Gift für die Weltkonjunktur.
In Japan, sagen renommierte Ökonomen wie Paul Krugman, herrscht derzeit eine Depression wie in den Dreissigerjahren.

Ausgerechnet die neoliberale Administration Bush macht nun vor, wie der Staat der Wirtschaft in Notzeiten unter die Arme greifen kann. US-Notenbankchef Alan Greenspan hat den Takt vorgegeben. In neun Schritten senkte er zwecks Ankurbelung der Investitionen die Leitzinsen von 6,5 auf 2,5 Prozent. Und jetzt schnürt die Regierung Bush ein Konjunkturpaket von 115 Milliarden Dollar zur Stützung der kränkelnden US-Wirtschaft. Kein Wunder, sind die Propheten des Neoliberalismus ziemlich stumm geworden. Ob Bushs «deficit spending» Erfolg beschieden sein wird, steht in den Sternen. Der Krieg gegen den Terrorismus könnte zu einem scharfen Anstieg des Ölpreises führen, wenn die angloamerikanische Koalition die Kampfhandlungen auf Länder wie Irak, Iran oder den Sudan ausdehnt und in der Folge die Ölpipelines verstopfen. Lange Rezessionsjahre wären nicht auszuschliessen.